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Wohnkomplexe an der Leipziger Straße

Wer heute die Leipziger Straße entlangfährt, kann sich kaum noch vorstellen, dass hier einst ein lebendiges Viertel mit historischer Bausubstanz existierte. Doch 1969 entschied die DDR-Führung, das bestehende Stadtbild radikal zu verändern und den historischen Bereich durch einen massiven Wohnkomplex zu ersetzen – ein Monument sozialistischer Stadtplanung, das bis heute das Berliner Stadtbild prägt.

Das Ergebnis? Acht gigantische Wohntürme im Süden der Straße, zwischen 23 und 25 Stockwerken hoch, flankiert von langgezogenen 14-geschossigen Plattenbauten im Norden. Ein Ensemble, das selbst in einer Stadt wie Berlin, die an sozialistische Betonarchitektur gewöhnt ist, aus dem Rahmen fällt – und das leider nicht im positiven Sinne. Abweisend, überdimensioniert und deplatziert ragen die Gebäude in den Himmel und bilden einen Fremdkörper in der Berliner Skyline.

Die ursprüngliche städtebauliche Idee hinter dem Komplex war ambitioniert: eine enge Verzahnung von Wohnen, Handel und Kultur – eine sozialistische Antwort auf die kapitalistischen Stadtzentren. Doch die Praxis zeigte schnell die Schwächen dieses Konzepts. Die unteren Etagen der Hochhäuser, die einst für Geschäfte und kulturelle Einrichtungen vorgesehen waren, sind heute verödet. Die einstige Einkaufspromenade wirkt leer und trostlos, und das Straßenbild wird von monotonen Betonflächen dominiert.

Möglicherweise war das Projekt der Versuch, dem Springer-Hochhaus in West-Berlin etwas architektonisch entgegenzusetzen. Ob die DDR-Planer tatsächlich den Blick auf die Werbeschilder der „Bild“ und der „Berliner Morgenpost“ verdecken wollten, bleibt Spekulation – doch auch wenn dem so war, ging der Plan völlig schief. Das Springer-Hochhaus blieb sichtbar, der Leipziger-Straße- Komplex jedoch entwickelte sich zu einer optischen Zumutung für alle, die hier leben oder vorbeikommen.

Nach der Wiedervereinigung wurden einige Gebäude renoviert und neue Fassaden angebracht – doch statt zu einer Verbesserung führte dies häufig zu einer Verschlimmbesserung. Der Versuch, dem Betonklotz ein modernes Gesicht zu verleihen, scheiterte. Was bleibt, ist ein veralteter, überdimensionierter Komplex, der den Stadtraum zerschneidet und mit der umliegenden Stadtentwicklung in keinerlei Einklang steht.

Berlin verdient an dieser zentralen Stelle einen attraktiven, lebenswerten Stadtteil. Statt weiterhin Geld in kosmetische Notlösungen zu stecken, sollte endlich über einen Abriss nachgedacht werden. Nur so kann dieser zentrale Ort zu einem urbanen Raum werden, der sich den heutigen Bedürfnissen der Stadtbewohner anpasst – und nicht den ideologischen Vorstellungen einer längst untergegangenen Diktatur.